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Kunst ist zwecklos.

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Zur Rolle politischer Kunst angesichts der aktuellen Migrations- und Flüchtlingspolitik

Dies ist der 13. Artikel unseres Blogfokus zu Flucht und Migration. Weitere Informationen gibt es hier.

von Lisa Bogerts

Kritik an der restriktiven europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik äußert sich nicht nur in Form von rein politischen Initiativen, sondern auch durch zahlreiche Kunstprojekte. Der Beitrag setzt sich anhand des Berliner Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) mit kritischer Kunst und Kritik an derselben auseinander. Er plädiert dafür, die Potenziale politischer Kunst dafür anzuerkennen, in der aktuellen Situation politisches Bewusstsein zu stärken und Widerstand sichtbar zu machen.

„Aggressiver Humanismus“

Papierboote gegen die Flüchtlingskrise falten? Der „Eskalationsbeauftragte“ und der „Chefunterhändler“ des Zentrums für politische Schönheit (ZPS), Stefan Pelzer und Philipp Ruch greifen diese symbolische Aktion einer Kampagne von Amnesty International (AI) in einem Vortrag scharf an. In der aktuellen Situation an den europäischen Außengrenzen seinen keine „Bastelnachmittage“ oder Stände in der Fußgängerzone gefordert, sondern ein „aggressiver Humanismus“. Das ZPS macht derweil mit bemerkenswerten Aktionen von sich reden, wie mit der „Kindertransporthilfe des Bundes“ für syrische Kinder, dem „ersten europäischen Mauerfall“ gegen die Toten an den EU-Außengrenzen, der symbolischen Gräberaktion „Die Toten kommen“ oder jüngst dem Entwurf der „Jean-Monnet-Brücke“ von Tunesien nach Sizilien. Man stelle sich vor, so Ruch und Pelzer, was das ZPS mit solch immensen Mitglieder- und Unterstützerzahlen wie AI sie hat – derzeit über 3 Mio. weltweit – alles erreichen könnte.

Welche Strategie soll man nun, auch im Hinblick auf das eigene Engagement, gutheißen? Diese Frage sollte sich nicht stellen, handelt es sich doch schließlich um zwei grundsätzlich verschiedene Aktivismusformen. Die Palette des Widerstands ist breit, sie reicht von stillen und alltäglichen Formen über Engagement im Rahmen der legalen, politischen Spielregeln (Petitionen, Demonstrationen, Streiks etc.) bis hin zu solchen, die die Regeln des „Systems“ ablehnen und entweder zivilen Widerstand ausüben oder ihre Kritik gewaltsam äußern.

AI möchte als Verhandlungspartnerin der hohen Politik anerkannt werden und Einfluss ausüben, während sich das ZPS für medienwirksamere Formen der Grenzüberschreitung entschieden hat. Solche Aktionen würden die 3 Mio. AI-Mitglieder, von denen überhaupt nur ein Teil aktiv ist, wahrscheinlich niemals alle unterstützen. Zudem hat sich die Schaffung von internationaler Öffentlichkeit für die Inhaftierung politischer Gefangener und mit ihr die Aktionsform der „Eilaktion“ (Urgent Action) jahrzehntelang als effektives Druckmittel erwiesen. Ein selbstgefälliges „Blaming“ von AI dafür, was sie an den EU-Außengrenzen „nicht verhindert“ hätte (O-Ton Ruchs), dient wohl vor allem dafür, den radikalen und neuartigen Aktivismus des ZPS hervorzuheben.

Die KünstlerInnengruppe des ZPS bezeichnet sich als „Sturmtruppe zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit“. Sie betreibe „eine parallele (schönere) deutsche Außenpolitik, die auf Menschlichkeit als Waffe setzt“ – und auf die Kunst, „als fünfter Gewalt im Staate„. Ob nun der Bezug auf die „fünfte Gewalt im Staate“ auf die Wichtigkeit der gekonnten visuellen und medialen Inszenierung der Kampagnen anspielen soll oder nicht – es lohnt sich, der Frage nach dem Stand und der tatsächlichen Machtpotenziale der politischen Kunst angesichts der aktuellen europäischen Migrations- und Flüchtlingspolitik nachzugehen.

Vom Theater bis zur „sozialen Plastik“

Das ZPS, das seine performativen Kampagnen als „eine erweiterte Form von Theater“ bezeichnet, wagte mit dem Theaterstück „2099“ in Dortmund nun auch den Sprung auf die tatsächliche Theaterbühne. Im Gegensatz zu dieser Produktion, die mit vier weißen, deutschen Männern besetzt ist, beziehen andere Theaterproduktionen Geflüchtete direkt mit ein. Ein Beispiel dafür ist das „Ruhrorter„-Projekt in Mülheim, das seit 2012 dafür arbeitet, „mit den Mitteln der performativen Kunst und der forschenden Dokumentation ein öffentlich sichtbares und erfahrbares Korrektiv gegen die unmenschliche Kategorisierung und Ausgrenzung von Flüchtlingen – sowohl in der Bürgergesellschaft, als auch in den Medien und der dokumentarischen Kunst – zu entwerfen.“ Als Pionier des erweiterten Theaterbegriffs in Bezug auf Migrationsfragen gilt auch Christoph Schlingensief, der schon vor 15 Jahren mit seinem „Ausländer raus„-Container in der Wiener Innenstadt verstörte.

Zielony ist mit einem dokumentarischen Fotoprojekt über das Leben afrikanischer Geflüchteter in Deutschland und ihre Proteste am Berliner Oranienplatz vertreten. Der von den niederländischen Antillen stammende Künstler Gerald Steven Pinedo stellt in seinem „Boat People„-Projekt mithilfe von Fotos und Interviews den harten Weg afrikanischer MigrantInnen nach Europa dar und zieht Rückschlüsse auf das Erbe der Sklaverei und den Kolonialismus.

Einen eher aktivistischeren als dokumentarischen Weg schlug die kubanische Künstlerin Tania Bruguera ein: Im Rahmen ihres längerfristigen Projekts „Immigrant Movement International“ forderte sie 2014 Papst Franziskus mit einer Unterschriftenaktion dazu auf, allen nach Europa Geflüchteten die vatikanische Staatsbürgerschaft anzubieten („The Francis Effect„). Die griechische Künstlerin Kalliopi Lemos ließ schon 2009 türkische Holzboote, die mit Geflüchteten aus dem Nahen Osten an der griechischen Küste gestrandet waren, zu einem 13 Meter hohen Turm vor dem Brandenburger Tor stapeln.

Abseits des etablierten Galeriebetriebs wird die aktuelle Situation auch in der Street Art thematisiert, wie nicht nur die allgegenwärtigen „Refugees Welcome“-Sticker, sondern auch die Nachbildung eines bulgarischen Grenzzauns durch das Kollektiv „Captain Borderline“ und zahlreiche andere Aktionen zeigen. Der Street Artist Banksy, der wohl mittlerweile zwischen Straßenkunst und Galeriegeschäft oszilliert, konfrontierte in seinem Realitäts-Funpark „Dismaland“ die BesucherInnen mit Geflüchtetenbooten statt mit weißen Schwänen auf dem Parkteich.

Andere Projekte gehen die Herausforderung gleich konkret in einer breiteren, praktischeren Perspektive an. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Augsburger „Grandhotel Cosmopolis„, das sich im Sinne Joseph Beuys‘ als „soziale Plastik“ in der Stadtgesellschaft versteht. In diesem „Hotel“ wohnen nicht nur „Gäste mit Asyl“ zusammen mit „Gästen ohne Asyl“. Entgegen der läufigen Struktur von staatlichen „Flüchtlingsheimen“, die die Anwesenden zur Passivität verdammt, wird das Haus von den BewohnerInnen gemeinsam betriebenen, mitsamt der Atelierräume für KünstlerInnen, gastronomischen Betrieben und Kulturveranstaltungen von Konzerten bis Theaterproduktionen.

„Artivismus“ und die Macht der Bilder

Die besondere Beziehung von Kunst und Politik ist ein viel beachtetes Phänomen. Spätestens seitdem der Maler Gustave Courbet als Mitglied der kommunistischen Pariser Kommune 1871 am Sturz der Vendôme-Säule beteiligt war, fasziniert das Bild des revolutionären Künstlers die Kunstgeschichte. In seinem Buch „Kunst und Revolution. Künstlerischer Aktivismus im langen 20. Jahrhundert“ (2005) zeichnet Gerald Raunig auf Grundlage einer poststrukturalistischen Revolutionstheorie künstlerisch-aktivistische Praxen – leider nur in Europa – nach. Darin zitiert er auch den marxistisch-propagandistischen Kulturpolitiker Anatoli Wassiljewitsch Lunatscharski mit den Worten:

„Umgekehrt ist die Kunst als Mittel der Revolution vor allem durch ihre Funktion bei der Agitation der Massen und als geeignete Form des Ausdrucks revolutionärer Politik bestimmt: ‚Wenn die Revolution der Kunst die Seele geben kann, so kann die Kunst zum Mund der Revolution werden‘ (Lunatscharski [1920] 1974: 26)“
(Raunig 2005: 10)

Etwas weniger pathetisch ausgedrückt kann diese Behauptung auch noch heute gelten. Der etablierte Begriff des „Artivismus“ zeigt, dass es längst eine Hybrid-Form zwischen Kunst und Aktivismus gibt, die auch in der Literatur und der Wissenschaft Beachtung findet. In den Visual Culture Studies werden Bilder per se als „constantly challenging place of social interaction“ (Mirzoeff 1999: 4) angesehen. Und dazu gehört auch, dass Bilder, so der Bildtheoretiker W.T.C. Mitchell, verletzen (Mitchell 2008: 371-395). Dadurch dass Bilder starke Emotionen auslösen können, eignen sie sich besonders zur Mobilisierung von sozialen Bewegungen und Protestaktionen – die sich in der heutigen Mediendemokratie wiederum der massenmedialen Bildlogik anpassen müssen, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen (vgl. Bogerts 2015: 327-246).

Das Visuelle prägt unseren Alltag und unsere Wahrnehmung von Politik in hohem Maße, es besitzt eine unglaubliche Macht über uns. Nicholas Mirzoeff, der der kritischen Schule der Critical Visual Theory angehört, geht von einer „dominanten Visualität“ aus, von einem „skopischen Regime“ (nach Metz 1982), das von Akteuren mit großer gesellschaftlicher Macht, also von den Regierenden, von Medienkonzernen und anderen Wirtschaftsinteressen dominiert wird (Mirzoeff 2011). Doch genauso wie in verbalen oder schriftlich vermittelten politischen Diskursen Gegenargumente entwickelt werden können, können in diesem visuellen Diskurs „Gegenbilder“, ja kann eine „Gegenvisualität“ ins Feld geführt werden – machtvoller politischer Performanz kann also nur mit (visuell) machtvoller Gegenperformanz entgegen gewirkt werden.

„Kunst muss wehtun, reizen, Widerstand leisten“

„Kunst muss wehtun, reizen, Widerstand leisten“, so das ZPS auf seiner Homepage. Politische Kunst kann nicht nur das politische Bewusstsein und die Aufmerksamkeit für gesellschaftliche Probleme erhöhen. Sie muss irritieren, verstören, Denkprozesse in Gang setzen, kritisieren – und sie muss kritisiert werden. Die Aktionen des ZPS wurden kontrovers diskutiert. Zu den Kritikpunkten zählen u. a. die Nicht-Repräsentation von People of Color in der KünstlerInnengruppe oder gar von MigrantInnen und Geflüchteten oder ihren Angehörigen bei den Aktionen, wobei neben der Subversion auch ein Hauch von „Herrschaftsdialog“ mitschwingt.

Der Journalist und Kunstkritiker Hanno Rauterberg macht anhand der Aktionen des ZPS auf die „Fallen“ aufmerksam, die sich dem „Artivismus“ stellen. Ihm zufolge vermag die politische Kunst nicht nur in die Falle der Vereinfachung oder die der Selbstbestätigung zu tappen. Durch eine aufklärerische und pädagogisch aggressive Gesinnung riskiert sie auch ein Gefühl der Bevormundung bei der Bevölkerung hervorzurufen. Sie droht in die Falle der Medialisierung zu treten, indem sie „gute Geschichten“ und „plakativen Ungehorsam“ bietet und ihre Kampagnen somit am „Nützlichkeitsdenken der Mediengesellschaft“ ausrichtet. Damit macht sie sich verdächtig, „die Opfer der Not zu benutzen, um sich selbst Aufmerksamkeit zu verschaffen“. Die „Falle der Freiheit“ schließlich beschreibt Rauterberg wie folgt:

„In libertären Gesellschaften ist die kritische Kunst längst zu einem Statussymbol der Mächtigen und Reichen geworden. Egal, wie erschreckend oder obszön ein Werk auch sei, es wird dafür genutzt, die Souveränität und Aufgeklärtheit derjenigen zu demonstrieren, die sich mit ihm umgeben. Es gehört regelrecht zur Stellenbeschreibung des guten Gegenwartskünstlers: aufmüpfig zu sein, anklagend, widerborstig.“

Die Ästhetik des Widerstands

Die Aktionsformen der Gruppe sind ein Angebot unter vielen, die sich für einen Wandel der aktuellen europäischen Asylpolitik einsetzen. Die einen finden es geschmacklos oder empfinden es als „moralische Prügelorgie„. Die anderen erleben es als die genialste und progressivste Aktionskunst, die es derzeit in Deutschland gibt – und das einzige, was in seiner Radikalität der momentanen katastrophalen Lage des weit verbreiteten Rassismus und Rechtspopulismus, der unzähligen Toten im Mittelmeer sowie der Kriege und Perspektivlosigkeit in vielen Staaten der Welt angemessen ist. Wenn der Pathos des ZPS „zur Errichtung moralischer Schönheit, politischer Poesie und menschlicher Großgesinntheit – zum Schutz der Menschheit“ jetzt nicht erlaubt ist, wann dann?

Kunst muss nicht politisch sein, sie existiert ihrer selbst und des ästhetischen Erlebens willen. „Kunst ist relativ zwecklos und absolut sinnvoll“, nannte dies der Musiker und Autor Peter Horton. Doch genau um diesen Sinn und diesen Zweck geht es der politischen Kunst. Hanno Rauterberg verweist in seinem Artikel auch auf den Appell Tania Brugueras: „Wir müssen Duchamps Pinkelbecken in die Toilettenräume zurückschaffen“. Die Kunst muss wieder in der politischen Realität ankommen.

Das Bild der Jean-Monnet-Brücke des ZPS ist bisher nur eine Computer-Animation, und es ist völlig utopisch, dass sie jemals gebaut wird. Doch Utopie ist erlaubt, sowohl in der Kunst als auch in der Politik. In „Die Ästhetik des Widerstands“ beschrieb Peter Weiss „[…] die Geschichte der Kunst als eine Geschichte des menschlichen Lebens, aus der die Stufen sozialer Entscheidungen abzulesen waren. […] Zeiten von Bewusstseinsveränderungen hingen oft mit bestimmten künstlerischen Themen zusammen“ (Weiss 1978: 341).
Das ZPS schafft sich die außenpolitischen Nachrichten, die es gerne hätte, gleich selbst. Oder wie es Peter Weiss ausdrückte: „Die Phantasie lebte, so lange der Mensch lebte, der sich zur Wehr setzte“ (Weiss 1978: 339).

Lisa Bogerts promoviert zu visuellen Widerstands- und Herrschaftspraxen, insbesondere in Bezug auf Street Art. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnung der Goethe-Universität Frankfurt.

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